Volkstrauertag 2013

 

Rede von Ortsvorsteher Alexander Naber am 17.11.2013
 
Immer dann, wenn die Herbststürme den Sommer vertrieben haben und den nahen Winter ankündigen;
Immer dann, wenn das letzte Laub der Bäume fällt und die Natur uns vor Augen führt, dass nun die Zeit der Blüte und der Früchte vorbei ist;
Immer dann, werden auch wir daran erinnert, dass auch unsere Zeit sich eines Tages einem Punkt nähert, wenn aus dem Sommer des Lebens ein Winter des Vergehens wird.
Wann dieser Zeitpunkt kommen wird, wissen wir nicht.
All diejenigen, die hier auf dem Friedhof – und überall an gleichen Orten ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, haben diesen Punkt bereits hinter sich gelassen.
Wir nutzen diese Orte – die Friedhöfe - nicht nur um unsere Verstorbenen zur Ruhe zu betten, sondern auch um einen Ort zu haben, zu dem wir gehen und an dem wir uns immer wieder an unsere Verstorbenen erinnern können – einen Ort, an dem ein Stein, ein Kreuz, eine Inschrift an die Person erinnert, auch wenn sie schon vor längerer Zeit diesen letzten Weg gegangen ist.
Aber, hier an diesem Ort wird auch jedem von uns immer wieder aufs Neue gewahr, wie endlich unser eigenes Leben ist. Darin sind wir alle gleich.
Nicht jedermann gleich jedoch ist das Warum – warum musste ein Mensch – dieser Mensch - diesen Weg gehen, warum zu diesem Zeitpunkt, warum kam der Winter für diese oder jene Person früher als für andere, warum in dieser Form.
Diese Fragen stellen wir uns sicher oft – immer dann, wenn wir von einem lieben Menschen Abschied nehmen, der am Ende eines erfüllten Lebens, durch eine schwere Krankheit oder einen Unfall aus unserer Mitte gerissen wurde.
An sie zu erinnern und ihrer zu gedenken, dazu dienen uns hier die Kreuze, Steine und Inschriften.
 
Heute gilt unser Gedenken im Besonderen den Menschen, die nicht durch den Lauf der Natur, sondern durch die Unbarmherzigkeit eines Krieges – ausgelöst durch Irrglauben, territorialen Größenwahn, politischer oder ideologischer Verblendung – durch Menschenhand zu Tode kamen.
 
Wie in den Jahren zuvor, treffen sich heute wieder überall in der Bundesrepublik die Menschen an zentralen Orten - Friedhöfen, Gedenkstellen, Kriegerdenkmalen – um an diesem heutigen Volkstrauertag den Opfern der beiden großen Weltkriege zu gedenken – den Gefallenen, den Vermissten, den Vertriebenen.
Soldaten und Zivilisten gleichermaßen, in der Ferne an der Front oder in der Heimat.
 
Und gerade heute – fast 70 Jahre nach dem Ende des letzten großen Weltkrieges ist es umso mehr an uns allen, diese Gräueltaten nicht zu vergessen oder zu verdrängen, sondern sie vor dem Hintergrund der aktuell weltweit tobenden Bürgerkriege und Aufstände, Terrorakte und Drohgebärden als Mahnung zu sehen, solche Ereignisse wie damals nicht wiederkehren zu lassen.
 
Ein solcher, nationaler Gedenktag ist in vielen Nationen ebenfalls verankert – ihren Ursprung haben diese Gedenktage, ob nun der „Remembrance Day“, der „Memorial Day“ oder eben der „Volkstrauertag“ – nach dem Ende des 1. Weltkrieges, der durch seine schier unglaublichen Materialschlachten im Stellungskrieg und dem großen Einsatz von Giftgas als Massenvernichtungswaffe ein neues Kapitel der Grausamkeit in der Kriegsführung geschrieben hatte.
Diese Gedenktage sollten in erster Linie den Gefallenen, den getöteten und vermissten Soldaten zu Ehren gereichen und ihr Andenken bewahren.
 
Doch trotz der Erinnerung, dem Angedenken und der steten Mahnung der Toten und Vermissten an die Hinterbliebenen, aus diesen Gewaltexzessen und Völkermorden zu lernen und weitere zu verhindern, sollte die Welt in einem weiteren, noch längeren und gewalttätigeren Krieg viele Menschen – Zivilisten und Soldaten, Kinder und Greise, Männer und Frauen - an die Gräuel des 2. Weltkrieges, die Kriegshandlungen auf den Schlachtfeldern, die Bombardements auf viele Städte und Dörfer, wie auch die Vertreibung von Menschen aus ihrer Heimat oder den systematischen Völkermord an religiös oder ethnisch Verfolgten, verlieren.
 
Und wieder stand nach dem Ende des Krieges das Gedenken an vorderster Stelle – noch intensiver, noch inniger und wieder mit der Hoffnung versehen, dass es nun für allezeit ein Ende haben muss mit solch sinnlosem Handeln.
 
Auch hier bei uns in Leiberstung hatten die Menschen diesen Wunsch.
Um ihrem Angedenk an die Gefallenen und Vermissten und gleichzeitig der Mahnung vor einer neuen Zeit des Tötens und Mordens aus niedrigsten Beweggründen Ausdruck zu verleihen, legte die Dorfgemeinschaft Hand an, tat sich zusammen und erbaute in nur einem Jahr – von der Idee im Jahre 1958 bis zur Fertigstellung im Jahre 1959 – an dieser Stelle eine Kapelle aus Stein zur Ehre und Gedenken an die Gefallenen und Vermissten Söhne der Gemeinde.
Am Volkstrauertag 1958 wurde die Idee geboren –
 
Um allen Gefallenen und Vermissten unsere Dankbarkeit zu bekunden, haben wir dieses Mahnmal auf unserem Friedhof, mitten unter unseren lieben Verstorbenen errichtet.
 
so ist es auf der Urkunde aus dem Grundstein der Kapelle zu lesen.
 
Heute, 54 Jahre später stehen wir hier, um wiederum einen Grundstein zu legen.
 
Die Gedächtniskapelle der Leiberstunger Bürger von 1959 wich einem anderen, größeren Gebäude.
Einer neuen Kapelle, die wiederum durch den Mut und den Zusammenhalt der Dorfbevölkerung Wirklichkeit werden konnte und durch die Dorfgemeinschaft tatkräftig mitgebaut wurde.
Heute soll die Kapelle allen dienen – allen Menschen, die auf dem Friedhof Ruhe und Andacht suchen, die Abschied von einem geliebten Menschen nehmen müssen oder die in der Stille eines Gebetes Trost und Antwort suchen.
 
Aber – durch den Neubau ist es uns auch Pflicht und Ehre zugleich, das Ansinnen der Leiberstunger aus den 1950er Jahren aufzunehmen und weiterzutragen und diesen Ort nicht nur der Stille und der Andacht, dem Abschiednehmen oder Trauern zu widmen, sondern den Wunsch nach einem ewigen Gedenken an die Gefallenen und Vermissten aus Leiberstung in den beiden großen Weltkriegen, sowie an die durch die Toten ausgesprochene Mahnung und Warnung vor einem erneuten Aufflammen solcher Gewalt, Rechnung zu tragen.
 
Aus diesem Grund ist dieser heutige Volkstrauertag ein ganz besonderer.
 
Ein besonderer, weil wir es den Bürgerinnen und Bürgern nachtun, die vor 54 Jahren – das Ende des zweiten Weltkrieges noch in sehr wacher Erinnerung – hier eine Kapelle bauten, des ewigen Gedenkens wegen.
 
Und mit diesem heutigen Gedenkakt wollen wir diesen Kreis wieder schließen und der Kapelle ihrer weiteren Aufgabe widmen, dieses Gedenken ewig wach zu halten.
 
Der Grundstein aus der alten Kapelle wird mit seinem kompletten Inhalt wieder hier in das Mauerwerk eingesetzt, als Mittler zwischen beiden Gebäuden und dem Weitertragen der damaligen Botschaft für die Zukunft.
 
Auch wir, die wir diese neue Kapelle erbaut haben werden einen Stein mit unseren Gedanken und Ansinnen, den Wünschen an die Funktion des Gebäudes und als Beleg für die Zusammenarbeit und den Zusammenhalt der Bürgerinnen und Bürger unseres Dorfes, fest in das Mauerwerk verschließen und für die Zukunft zu bewahren, getreu der Formel aus der Ursprungsurkunde :
 
Möge das Gotteshaus ein Sinnbild der Einheit und des Friedens unserer Pfarrfamilie sein und den Lebenden und Toten zum Segen gereichen.
Herr, gib uns den Frieden.
 
Denn – wenn alle sich in einem Wunsch, einer Idee, einem Werk zusammenfinden, dann ist auch der Sinn und die Aufgabe eines solchen Werkes erfüllt und kann von jedem immer weiter in die Zukunft getragen werden. Das ist es, was uns diese Mahnmale, Kreuze, Steine und Inschriften auftragen – das Wissen, den Glauben und die Erinnerung zu bewahren und weiterzugeben – als Symbol der Hoffnung, als Trost aber auch gerade als Warnung und Mahnung.
 
Das Bildnis des Heiligen Michael, welches ebenfalls aus der alten Kapelle geborgen und hier in dem neuen Bauwerk einen zentralen Platz gefunden hat, soll das Ansinnen beider Generationen – damals wie heute – unterstreichen.
 
Und – ein weiteres Symbol soll hier auf unserem Friedhof das Gedenken an die Toten der Weltkriege wach halten und uns stets zur Mahnung gereichen :
 
Auf der einen Seite der Kapelle – das Bildnis mit dem sterbenden Soldaten, auf einem Schlachtfeld irgendwo – alleine mit dem Vertrauen auf Gott, in dessen Hände er sich begibt. Darunter die Namen der Gefallenen und Vermissten – eine stattliche Zahl die aufzeigt, welche unbarmherzige Schneise dieser Krieg auch in die Reihen unseres Dorfes gerissen hat.
Und – diese Namen stehen nicht nur als Inschrift um sie vor dem Vergessen zu bewahren – als das was sie einmal waren, Bürger dieses Dorfes – sondern wieder auch als Mahnung für die kommenden Generationen, so titelt der Rahmen:
 
„Den Helden zur Ehr, der Jugend zur Lehr!“
 
Ich habe an gleicher Stelle bei den Gedenken zum Volkstrauertag oft über das Wort „Held“ sinniert, obgleich es stets aufs Neue wert war, hierüber nachzudenken und sich zu fragen, warum sind diese Namen, warum sind diese Menschen Helden ?
 
Ist man ein Held, weil man für sein Vaterland kämpft ?
Ist man ein Held, weil man Feinde bekämpft, Feinde tötet?
Oder wird man zu einem Held, wenn man im Krieg getötet wird?
 
In erster Linie waren es Bürger unseres Dorfes, Nachbarn, Freunde, Familienmitglieder – im Nachhinein betrachtet waren sie Opfer.
Opfer barbarischer Zeiten, Opfer von fehlgelenkten Despoten, Opfer von Werken und Taten, die durch nichts zu entschuldigen und durch nichts zu begründen sind.
 
Und dennoch können wir auch sagen – sie sind in gewisser Weise Helden.
Helden, weil ihr Tod, ihre Leiden bis heute nicht vergessen sind und uns an das erinnern sollen, was sie durchgemacht und erlitten haben.
Helden, weil das Gedenken an ihr oftmals viel zu kurzes Leben und an ihren sinnlosen Tod uns davor bewahren soll, das gleiche Schicksal selbst zu erleiden.
Helden, weil ihr Tod für uns Mahnung sein soll und auch ist, alles daran zu setzen Kriege, Uneinigkeit, Hass und Intoleranz zu bekämpfen und auf den Erhalt und das Schaffen von Frieden und Einheit hinzuwirken.
 
Dies der „Jugend zur Lehr“ mit auf den Weg zu geben ist sicher gerechtfertigt und Ansporn für uns alle.
 
Dass die Führer, Lenker und Befehlshaber der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts eben diese Mahnung, diese Lehre sich nicht zu Herzen genommen haben, bezeugen die Namen der Gefallenen und Vermissten aus dem zweiten großen Krieg, der unsere Welt erschütterte. Auch ihre Namen wurden zur steten Mahnung auf die Wand der alten Gedächtniskapelle geschrieben, man könnte fast sagen „als ewiges Mahnmal in Stein gemeißelt“.
 
Ihnen ein ehrendes Andenken zu bewahren ist ebenso wichtig und gerecht – darum haben wir – auch wieder durch die Mitarbeit und Tatkraft der Dorfgemeinschaft in Form von Spenden – diese Namen ebenfalls auf einem Bild verewigt, welches von unserem Freund Heinz Ernst gestaltet wurde.
 
Und, der heutige Tag bietet den perfekten Anlass, dieses Bild zu enthüllen und die darauf verzeichneten Namen ebenfalls in ein entsprechendes Licht zu rücken – nicht als Helden des Krieges, sondern als Opfer, derer zu Gedenken uns wiederum Warnung und Mahnung sein soll.
 
Im Anschluss an diese Worte wollen wir dieses Bild vorstellen und Her Ernst wird seinerseits einige Worte an uns richten - zu dem Bild, dem Motiv und seiner Intention wie er dieses Bildnis gestaltet hat.
 
Ebenso lade ich Sie im Anschluss daran ein, dem Einbringen der beiden  Grundsteine in das Mauerwerk beizuwohnen bevor wir – im Gedenken an alle Opfer nicht nur der beiden großen Weltkriege – beim Gedenkstein auf dem Friedhof einen Kranz niederlegen und uns in einem stillen Gebet vereinen.
 
Sie, wir alle helfen damit, dass das Gedenken an die Toten, Vermissten, Verstümmelten und Vertriebenen der Kriege – auf allen Seiten der Fronten – stets wach bleibt und uns als ewige Mahnung vor dem Vergessen bewahrt, was durch Intoleranz, Fanatismus, Ideologischer Verblendung, Herrschsucht oder Habgier und Hass ganzen Völkern, Volksgruppen – allen Völkern der Welt angetan werden kann.
 
Möge der Kranz mit seinem Rund den Wunsch nach der Verbundenheit aller Menschen symbolisieren und möge das Grün der Zweige ein Zeichen für die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden sein.
 
 
Grundsteinlegung:
 
Meine Damen und Herren,
wie bereits erwähnt, wollen wir mit dem Einbringen des Grundsteines aus der alten Kapelle den Auftrag des Bauwerkes und die Wünsche der damaligen Bevölkerung an gleicher Stelle weitertragen.
So haben wir den gesamten Inhalt wieder fest in dem Stein verschlossen.
In dem Stein fanden wir vor einem Jahr folgenden Inhalt:
-eine Ausgabe des Konradsblattes vom 8. November 1959
-eine Ausgabe der Monatsschrift „Mann in der Zeit“ vom November 1959
-ein Zeitungsausschnitt über den Bau der Kapelle vom 12. November 1959
-4 Banknoten aus der Inflationszeit mit den Werten
   20 Millionen, 100 Millionen, 500 Millionen und eine Milliarde Mark
-sowie die Urkunde, unterzeichnet vom damaligen Bürgermeister Lorenz und dem  Pfarrverweser Birkenmeier
 
Der Inhalt zeigt deutlich, welches Ansinnen die Bevölkerung damals hatte.
Das Inflationsgeld, welches Sinnbild der Krise in der damaligen Zeit war und schlussendlich mit ein Auslöser dessen, was später schreckliches passieren sollte;
Das Konradsblatt mit den Artikeln und Worten zum damaligen Volkstrauertag auch als Beweis für die tiefe Verbundenheit der Bürger im Glauben;
Die Monatsschrift „Mann in der Zeit“ als Zeitschrift der weltlichen Seite
Und nicht zu vergessen die Urkunde, in welcher ausführlich Idee und Werden der Kapelle beschrieben wurde;
 
Auch wir wollen mit dem neuen Stein ein Zeugnis unserer Wünsche und Ansinnen für die Zukunft konservieren.
Sein Inhalt soll auch ein Stück diesen Tag, die Bauzeit und das Werden des neuen Gebäudes für später dokumentieren:
-Baupläne des Gebäudes
-Bilder der alten Kapelle, des Baus und der Einweihung der neuen Kapelle
-Zeitungsberichte über die Einweihung
-Das Titelblatt des Gemeindeblattes zur Einweihungsfeier
-das Gemeindeblatt dieser Woche, sowie auch das Konradsblatt
-eine Liste der Helfer am Bau und der Spender;
-eine Ausgabe der Bürgerinfobroschüre Leiberstung
-die Reden und Ausführungen zum Volkstrauertag letzten – und diesen Jahres,
  sowie der Einweihungsfeier und des Richtfestes
-einen Satz Euro-Münzen – als Beweis, dass die Menschen in unserer Zeit es zumindest auf einem Kontinent geschafft haben etwas gemeinsames zu erreichen – und sich nicht wieder in einem gegenseitigen Krieg verloren haben;
-und natürlich eine Urkunde, die auch wieder den Werdegang dieses gemeinsamen Projektes der Leiberstunger Bevölkerung aufzeigt;
Alle Unterlagen und Bilder, die Baupläne, Listen, Arbeitsblätter – alles was mit diesem Projekt zusammenhing wurden außerdem auf einem USB-Speicher gespeichert, welcher ebenfalls in dem Stein eingeschlossen wurde – wer weiß, ob diese Technik irgendwann einmal wieder geborgen und vielleicht noch genutzt werden kann.